Niemand wird gezwungen in einem Fahrstuhl zu sprechen

Niemand wird gezwungen in einem Fahrstuhl zu sprechen.

Denkste.

Der Fahrstuhl ist der Inbegriff gezwungener Konversation. Trifft man sich schon vor dem Fahrstuhl, an den Eingangsstufen, an der Pforte, auf den Aufzug wartend im Gang – da gibt es noch ein freundliches, ein gemeintes „Guten Morgen werter Kollege oder werte Kollegin“, nur dass niemand mehr ‘werter Kollege’ sagt heutzutage, oder ‘werte Kollegin’ und wenn wir mal ehrlich mit uns sind, einige den guten Morgen auch überhaupt nicht wert sind. Das behält man aber besser für sich. Hier draußen, auf weiter Flur, fließt das Gespräch noch natürlich, kommt in Gang, während der Fahrstuhl seinen mechanischen gen Erdgeschoss unweigerlich und erbarmungslos antritt. Nicht mehr lange und der kleine quadratische Knopf, das pavlovsche Glöckchen der Fahrstuhlhunde beginnt hektisch rot zu blinken und kündigt SEIN Kommen an. Schon öffnen sie sich, die schweren Türen, mühsam und seufzend, als seien sie ihres Daseinszweckes müde; diese Tore der stählernen Small-Talk-Hölle – Tretet ein, die ihr hier arbeitet, und lasset alle Hoffnung fahren, diese Fahrt könnte ohne forciertes Flurfunkgeflüster vonstattengehen.

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Ode an den Füller

Da ich nicht singen kann, im Prosa.

Ich schreibe diese Zeilen – wer hätte es gedacht – mit meinem Füller, auch wenn ihr, liebe Leser, die abgetippte Tablet-Ausgabe zu lesen bekommen.

Der Füller, zu Zeiten klackernder Schreibmaschinen und Wählscheibenfestnetzapparaten das mobile Schreibaccessoire en vogue, erlebte in den letzten Jahren ein Comeback. Entgegen der allgemeinen Vorstellungen braucht es weder Bart noch Intellektuellenbrille, auch ein Moleskine ist nicht vonnöten, aber sehr zu empfehlen, um einen Füller benutzen zu dürfen. Ich für meinen Teil schreibe derzeit in ein suhrkamp Notizbuch #unbezahlteWerbung und auf einem Hugo Boss-Schreibblock. Vornehm geht die Welt zugrunde.

Wie gerne würde ich davon erzählen, wie elegant und exquisit er ist, mein Füller, wie Feder und Kiel sich sanft geschwungen vereinen. Alas – und es gibt kein deutsches Wort um diesen Seufzer der englischen Literatur adäquat zu übersetzen – alas, meiner ist kantig und plump, liegt aber gut in der Hand. Außerdem hat er nur 19,90 € gekostet und an der Kasse wurden zusätzlich 3% Mehrwertsteuersenkung (die wir an Sie, liebe Kunden, weitergeben) abgezogen und trotz seiner einfachen Ausstattung möchte ich ihn nicht mehr missen. Er ist schwarz, wenigsten hier also zeitlos. Mit ihm fühle ich das Schreiben, mit ihm fülle ich die Blätter, mit ihm erfülle ich mich an meiner eigenen Kreativität.

Ein Füller erwartet einen zarten Umgang. Nicht wie der Kulli, dieses grobschlächtige Schreibwerkzeug. Wie schnell wird hier der Griff zur krampfhaften Umklammerung, der Schöpfungsakt zum schludrigen Hingekritzel. Ein Kugelschreiber ist ein austauschbarer, irrelevanter, lieb- und lebloser Gebrauchsgegenstand, existent einzig und allein zum Zwecke seines Gebrauchs. Dies schreibe ich, ohne eine Mi(e)ne zu verziehen. Ein Füller hingegen verspricht einen Hauch von Abenteuer. Schon das Kratzen auf dem Papier, wie Vinyl so zärtlich und rau zugleich, macht das Schreiben zum Erlebnis. Wie einst die Feder ins Tintenfass taucht der Schreibende ein in die eigene Fantasie und bringt sie zu Papier. Der Füller ist das Zen der literarischen Schaffenskraft. Er verlangt Geduld, vor allem bei Linkshändern, er betont die Langsamkeit und nein, ich schreibe jetzt nicht Achtsamkeit, ach verdammt, da steht es und weil es Tinte ist und Tintenkiller giftig sind und stinken und bei schwarzer Tinte sowieso nicht funktionieren, kann ich es auch nicht mehr rückgängig machen. Ich könnte es durchstreichen, aber dann steht es immer noch da, auf meinem Hugo Boss-Schreibblock und was da steht ist damit Modegesetz und entweder streiche ich durch wie früher in der Grundschule, ein gerader Strich mit dem Lineal, schön ordentlich, aber dann kann ich es immer noch lesen, oder ich fahre wie im Wahn wieder und wieder darüber hinweg und verwandle es für alle Ewigkeit in ein hässliches Tintenkritzelkratzelmonster. Was Sie in diesem Fleck sehen, entscheidet über ihre geistige Verfassung, und wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Ihrem Vater?

Geduld gehört nicht eben zu meinen Stärken und so tendiere ich dazu, meine eben frisch aufs Papier gebrachten Worte zu Schlieren zu verwischen, weil ich nicht warten, sondern weiter will, immer weiter, und dabei das Innehalten vergesse. Und so muss dieser Text hier enden, denn was folgt, sind die verwehten Spuren meiner Schrift, unkenntlich und verloren für immer im Schneegestöber meiner wirren Gedanken…

Lass uns blau machen!

Meine Mutter und ich waren gestern wandern. In den Vogesen. Frühmorgens sind wir los, um nicht im Frühtau, aber wenigstens vormittags zu Berge zu ziehen, fallera. Wir wanderten allerdings gar nicht so viel, und wie üblich hatte ich vorsorglich ein Buch eingepackt, denn ich weiß, irgendwann – und meine Mutter hat die Route so geplant, dass wir gar nicht daran vorbeikommen oder besser gesagt auf jeden Fall daran vorbeikommen – wird sie stehenbleiben und sagen: „Schau mal, so viele Heidelbeeren! Oh, klasse!“ und schon verschwindet sie zwischen den kniehohen Sträuchern, bewaffnet mit ihrem knallroten Heidelbeerpflückgerät mit den metallenen Zähnen, das aussieht wie ein kleiner Handmähdrescher, und ich weiß, jetzt ist es an der an der Zeit, mir ein gemütliches Plätzchen zu suchen und zu lesen, bis meine Mutter ihr Sammelfieber ausgelebt hat oder alle verfügbaren Behälter bis oben hin gefüllt sind mit den kleinen süßen köstlichen Beeren.

So auch gestern. Nachdem wir uns von der Qualität der Früchte in einer Ferme Hauberge entlang des Weges bei einer tarte aux myrtilles überzeugt hatten – ein weiteres unumgängliches Ritual – fuhren wir nach Hause und ich wusste, morgen wird es Dampfnudeln geben, mit Vanillesoße und frischen Heidelbeeren, und übermorgen Blaubeerpfannkuchen zum Frühstück. Mit Puderzucker oder Ahornsirup, beides dürfen wir Kinder nicht. Und während wir so fuhren, und ich aus der Tupperdose naschte, konnte ich beides schon fast schmecken, vor allem aber die Dampfnudeln, und meine Gedanken wanderten in die Küche… wie meine Mutter den Teig zubereitet, dabei erst das Mehl nicht findet, schließlich über die Katze stolpert und das „blöde Mistvieh“ verflucht. Wie sie den Teig ordentlich durchboxt, die alte große Schmorpfanne nimmt, bei der ein Henkel halb abgebrochen ist und die unten schon ganz schwarz ist und nur erahnen lässt, wie edelstahlstrahlend sie einst gewesen sein muss. Das ist der Topf, in dem sonst herzhaft geschmort und und gegart wird (und mich mit Grausen an das lapprige Paprikagemüse meiner Mutter denken lässt. Pfui.) Für Dampfnudeln ist er perfekt und Dampfnudeln wird es immer nur aus diesem Topf geben. Schon reihen sie sich im Kreise, dicht and dicht in die Pfanne gedrängt, Deckel drauf und „ja nicht den Deckel hochheben, Umgotteswillen!“

Nach und nach ziehen süße, wohlbekannte Düfte durch das ganze Haus, karamellig, leicht verbrannt – aber nur leicht – und es wird Zeit, die Vanillesauce anzurühren, ganz profan das Fertigtütenprodukt: einmal aufkochen mit Milch, umrühren, fertig, zack, das können sogar mein Bruder und ich. Meistens ich. Er deckt lieber den Tisch. Das kann er aber nicht so schön, da fehlt ihm die ästhetische Ader, also korrigiere ich sein pragmatisches Tun zu einer anschaulicheren Tafel, auch um meine wachsende Ungeduld zu überbrücken, denn ich habe Huuuuuunger. Fast brennen die Dampfnudeln doch noch an, denn wie immer ist meine Mutter „nur ganz geschwind noch kurz“ sonstwohin verschwunden. Aber es geht alles gut; zum Glück, denn wir Kinder hätten uns nicht getraut zu intervenieren, das führt nur zu Ärger. Nein, nein, wir tun so als hätten wir von dem, was in der Küche beinahe passiert wäre, rein gar nichts mitbekommen.

„Essen ist fertig“ schallt die Stimme meiner Mutter durchs Haus, dabei sind wir doch alle da, außer Papa, aber der ist Diabetiker und isst das nicht.

Und da sitzen wir, an unserem uralten, dunkel gebeizten Holztisch mit Fußleiste in der Mitte. Die Sauce hat schon Haut gezogen – igitt! – aber mein Bruder löffelt sie todesmutig weg. Die Heidelbeeren, gelesen und gewaschen, stehen bereit. Schon bringt meine Mutter den heiß(ersehnt)en Topf, vorsichtig umklammert mit zwei unterschiedlichen Topflappen, weil die bei uns alle wild durcheinander in einer Schublade liegen und sie grundsätzlich ohne hinzusehen die zwei erstbesten rausholt. Die hat übrigens alle meine Oma gehäkelt, von der auch das Dampfnudelrezept stammt.

Da stehen sie auf dem Tisch und machen ihrem Namen alle Ehre. Den ersten Kloß bekommt mein Bruder, das Recht des Älteren. Dann bin ich an der Reihe. Oben fluffig weich, wie ein Kissen, unten mit der dicken Karamellkruste die so lustig am Gaumen kleben bleibt. Schon gießt sich ein Strom aus Vanillesauce darüber und es tropft und fließt an den Seiten herab – da liegt sie, die Hefekloßvollkorninsel im Vanillemeer. Wie kleine Farbtupfer, kleine blaue Wunschpunkte, treiben die Heidelbeeren auf dem Meer und ihre Bahnen ziehen lila Fäden, bis mit ein bisschen Gabelfahrerei ein violettes Farbspiel entsteht.

Dieser Moment, wenn ich die Dampfnudel anschneide, mit der Seite meiner Gabel sanft aber bestimmt in das weiche Kloßfleisch stoße, sich die Sauce in die luftigen Zwischenräume legt und ich diesen wunderbar wohlig-warmen Appetithappen endlich dem Munde zuführen darf: Glückseligkeit.